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Merkwürdige Geräusche

 

Ein dumpfer, kreischender Ton ließ Valana aus dem Schlaf aufschrecken. Was war das? Sie lauschte und da war es schon wieder!                                                                                                     Fast, als würde ein großes Tier in schrecklichen Qualen schreien und doch, irgendwie war da noch etwas anderes an diesem Geräusch. Sie konnte es einfach nicht einordnen.                                               

Zögernd stand Valana auf und öffnete die Zimmertür. Im Gang war alles Dunkel, doch dann sah sie unter der Tür zum Elternschlafzimmer einen Lichtschein. Gerade überlegte sie, ob sie hinüber gehen sollte, als sich die Tür öffnete und ihr Vater auf den Flur trat. Er kam sofort zu ihr, als er sie erblickte.

„Ist schon gut, Val, da draußen scheint ein starker Sturm zu toben. Geh wieder schlafen, du weist doch, uns kann nichts passieren.“

„Ich weiß Papa, aber dieser schreckliche Ton! Hast du ihn auch gehört?“

„Ja sicher, aber jetzt ist er schon viel leiser. Vielleicht erfahren wir ja morgen, was es war. Geh jetzt wieder ins Bett, Val!“ Er strich ihr beruhigend übers Haar.

Wiederstrebend drehte sie sich um und ging zurück in ihr Zimmer. Wahrscheinlich würde sie den Rest der Nacht Wachliegen und überlegen, woher das Geräusch wohl gekommen war. Aber ihr Vater hatte schon Recht, im Moment konnten sie sowieso nichts unternehmen.

 

Am nächsten Morgen stand sie schon früh auf und ging hinunter in die Küche. Schnell machte sie Frühstück und wartete ungeduldig auf die anderen.

Valana platzte fast vor Neugierde. Sie wollte unbedingt herausfinden, was in der Nacht passier war. Möglicherweise wurde ja über den Info-Kanal etwas gebracht. Sie schaltete das Gerät an und hörte erwartungsvoll zu. Doch nur das übliche Geschwafel war zu hören.

Inzwischen war ihr Vater herunter gekommen und leistete ihr beim Frühstück Gesellschaft. „Scheint ja wirklich nichts Besonderes gewesen zu sein, sonst hätten sie es schon gebracht.“

...Wie sie vielleicht bemerkt haben, war es in der vergangenen Nacht besonders stürmisch. Durch den starken Druck wurde eines der Haltetaue aus der Verankerung gerissen und es verhakte sich in einer Pumpanlage. Diese musste daraufhin kurzzeitig abgeschaltet werden. Der Schaden ist jedoch nur gering und  die Anlage arbeitet bereits wieder. Weiter Nachrichten jetzt von Rogan....

„Na also!“ Ihr Vater strahlte sie an. „Es war also wirklich ganz harmlos.“

„Ich weiß nicht!“ Unsicher schüttelte Valana den Kopf. „Und dieser seltsame Ton?“

„Wahrscheinlich ist die Trosse irgendwo rüber gerutscht, wie der Bogen über eine Geigenseite  und dadurch wurde diesen seltsamen Ton verursacht. Ist doch ganz einleuchtend.“ Val`s Vater schob den Stuhl zurück. „So, ich muss los. Erinnere Tabor bitte daran, mir den Reparatursatz für die Winde zu besorgen. Bis heute Abend dann Val.“

„Ja, bis dann.“ Geistesabwesend blickte sie ihrem Vater nach. Ihr ging immer noch dieser Bericht im Kopf herum. Irgendwie hatte sie ein seltsames Gefühl dabei.

Endlich erschienen auch Valana`s Brüder zum Frühstück. Tabor, der Ältere war 19 Jahre und wie immer gut gelaunt. Ganz im Gegensatz zu Jonas, dem Nesthäkchen. Wie üblich standen dem Dreizehnjährigen die blonden Haare wirr in alle Himmelsrichtungen und die zerknitterten Klamotten vom Vortag schlotterten um seinen schlaksigen Körper. Und wie fast jeden Morgen schickte Valana ihn wieder nach oben zum Waschen, kämmen und umziehen. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum sich diese Prozedur jedem Morgen wiederholte. Es war zum Verzweifeln.

Nachdem sie endlich alle fertig waren und Tabor ihr beim Aufräumen der Küche geholfen hatte, schnappten sie sich ihre Taschen und machten sich auf den Weg. Jonas und Valana hatten das gleiche Ziel, sie gingen in die Volksschule, während Tabor in die andere Richtung, zur meeresbiologischen Schule musste.

Val war mächtig stolz auf ihren großen Bruder, war er doch auf dem besten Wege ein erstklassiger Meeresbiologe zu werden. Manchmal beneidete sie ihn richtig. Bei ihr würde es noch knapp ein Jahr dauern, dann würde sie siebzehn und konnte endlich die Volksschule verlassen. Auch sie hatte vor zur Me-Bi-Schule zu gehen, wie sie von den Schülern genannt wurde.

Plötzlich merkte Valana das sie alleine war und schaute sich um. Natürlich, Jonas war schon wieder zurückgeblieben und träumte vor sich hin. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf, so dass ihre kastanienbraunen Haare nur so flogen.

„Jonas, nun komm endlich! Du bist gleich wieder der letzte! Ich habe keine Lust ständig wegen dir Ärger mit Frau Solbent zu bekommen.“

Warum war sie nur mit so einem unmöglichen Bruder gestraft.

„Hey, Val! Ärgert dich dein kleiner Bruder wieder?“

Valana schaute sich um und entdeckte ihre beste Freundin Tammy.

„Hey, Tammy! Hast du was anderes erwartet?“

Lachend kam Tammy heran und Valana´s Laune besserte sich schlagartig. Die beiden Mädchen hakten sich ein und machten sich kichernd auf den Weg, während Jonas brummig hinterher trottete.

 

„Hast du heute Nacht auch dieses fürchterliche Heulen gehört?“ Fragte Valana ihre Freundin und wartete gespannt auf die Antwort.

„Heulen? Was für ein Heulen?“ Tammy schaute sie fragend an.

„Dieses grässliche Gejaule! Das war doch dermaßen laut, das musst du doch gehört haben. Ich bin gleich davon aufgewacht.“

Tammy schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, ich habe nichts gehört. Aber du weißt doch, wenn ich erst mal schlafe, kriegt man mich nicht so schnell wach.“

Als die Mädchen in die Klasse kamen, fragte Valana gleich einige Mitschüler, ob sie nachts etwas gehört hätten. Doch die meisten hatten tief und fest geschlafen und die, die etwas gehört hatten, machten sich darüber gar keine Gedanken. Schließlich gab Valana ihre Fragerei auf und konzentrierte sich auf den Unterricht.

 

Valanas Vater hatte ähnliche Schwierigkeiten etwas über die nächtlichen Geschehnisse herauszubekommen. Obwohl er versucht hatte, seine Tochter von der Harmlosigkeit der seltsamen Geräusche zu überzeugen, war er sich selber da gar nicht so sicher. Immerhin war er Tiefbauingenieur und wusste um die Probleme von Kuppelbauten und dem Druck, dem sie ausgesetzt waren. Da genügte schon ein kleiner Riss, um sie alle ins Verderben zu stürzen. Doch genau wie seiner Tochter begegneten auch ihm viele Leute mit Kopfschütteln, als er sie auf die Geräusche ansprach. Die wenigen, denen etwas aufgefallen war, hatten sich durch die Erklärung mit der losgerissenen Trosse beruhigen lassen.                        

Insgeheim wunderte er sich über die Gleichgültigkeit der Menschen. Wie konnte man nur alles so einfach hinnehmen, ohne selber mal nachzufragen oder sich zumindest mal zu wundern.

Schon von Jugend an hatte er versucht alles zu ergründen, seien es die Gesetzte der Natur oder der Technik, immer hatte er alles verstehen wollen.

Oft genug hatte sein Vater geschimpft, wenn er ihn mal wieder mit unzähligen Fragen überhäufte. <Mein Gott, Frank. Ich weiß das doch auch nicht. Wie kommst du nur auf all diese Fragen? > Doch sein Vater hinderte ihn nie daran, weitere Nachforschungen anzustellen und insgeheim war er wohl stolz auf die Wissbegier seines Sohnes. Genauso ging es Frank Lasard jetzt mit seinen eigenen Kindern. Besonders Valana war ebenso neugierig und wissensdurstig wie er damals. Auch Tabor war da ganz nach ihm geraten, nur sein Jüngster, Jonas war wohl etwas aus der Art geschlagen. Aber wer weiß schon, was in dem Kopf eines Dreizehnjährigen vor sich geht. Vielleicht war ja auch die fehlende Erziehung einer Mutter schuld an seiner Gleichgültigkeit und Dessintresse.

Wie immer, wenn er an seine verstorbene Frau dachte, befiel Frank große Traurigkeit. Er schaute ihr Foto an, das auf seinem Schreibtisch stand und wieder fiel ihm die große Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter auf.

Valana war einfach großartig. Sie war damals gerade elf geworden, als Anni, ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben kam. Einer dieser Tauchunfälle, die leider immer wieder passierten. Am Anfang waren sie alle völlig apathisch.

Frank wusste nicht wie es weitergehen sollte aber Valana und Tabor hatten es irgendwie geschafft sie alle aus dieser Verzweiflung heraus zu ziehen. Nur Jonas war ein Sorgenkind geblieben.

 

Seufzend schob Frank das Bild seiner Frau zurück, er hatte jetzt lange genug seinen Gedanken nachgehangen. Auf diese Weise würde er nie etwas herauskriegen. Mit der Telebox rief er einige Kollegen an und versuchte bei ihnen ein paar Informationen zu bekommen, doch leider hatte er keinen Erfolg.

Nach einiger Zeit klopfte es und sein Chef Paul Skater schob den Kopf herein.

„Kann ich dich mal kurz sprechen, Frank?“

„Na klar, Paul!“ Frank schob seinen Stuhl zurück. „Komm rein und setz dich. Was hast du auf dem Herzen?“

Paul zögerte sichtlich. „Hast du eigentlich dein letztes Projekt schon fertig gestellt? Den hydraulischen Hebekran meine ich, ist der Testlauf erfolgreich verlaufen?“

Frank nickte begeistert. „War ein voller Erfolg! Die Kraft dieses Krans ist einfach enorm. Ich denke noch knapp zwei Wochen, dann kann ich das Projekt abschließen. Warum? Hast du schon was anderes für mich?“

„Nein, noch nicht.“ Paul war sichtlich verlegen. „Ich wundere mich nur, dass du soviel Zeit mit deiner Rumfragerei verplemperst. Was hast du eigentlich für ein Problem, das du damit deine sämtlichen Kollegen nervst?“

Frank schaute seinen Chef verdutzt an. „Was ich für ein Problem habe? Ich möchte lediglich herausfinden, was da heute Nacht passiert ist. Die offizielle Erklärung hat mich irgendwie nicht so richtig befriedigt und ich möchte gerne mehr erfahren!“

„Du meinst diese Sache mit der losgerissenen Trosse? Was soll denn damit nicht stimmen? Ist doch nicht zum ersten Mal vorgekommen, oder?“

Frank schüttelte nachdenklich den Kopf. „Irgendwie war das diesmal anders. Schon alleine das Geräusch, das hörte sich nach etwas viel Schwererem an als nach einer Trosse. Ich weiß nicht, irgendetwas stimmt da nicht.“

Paul versuchte ihn zu beruhigen. „Ich glaube, du steigerst dich da in etwas hinein. Was soll es denn sonst gewesen sein?“

„Vielleicht ist ja was mit der Kuppel? Ich weiß auch nicht, aber ich habe halt so ein komisches Gefühl das da was nicht stimmt.“

„Wenn was mit der Kuppel wäre, wüssten wir sicher schon Bescheid. Schließlich haben wir eine erstklassige Überwachungsanlage, an deren Entwicklung du, so glaube ich mich zu erinnern, stark beteiligt warst.“

Frank musste lächeln. „O.K. du hast natürlich Recht. Schon bei den geringsten Schwierigkeiten würde sie Alarm schlagen.“

Paul schaute seinen gegenüber besorgt an. „Ich glaube du solltest dir mal ein paar Tage frei nehmen. Du scheinst mit den Nerven ziemlich am Ende zu sein.“

„Ja, vielleicht sollte ich das tun.“ Frank lehnte sich deprimiert in seinen Stuhl zurück. „Möglicherweise sehe ich wirklich schon Gespenster. In der letzten Nacht kam das alles mit Cora wieder an die Oberfläche. Dieses Geräusch und dann Valana, die davon wach wurde und angst hatte.“ Er verstummte.

„Ist schon gut, Frank. Wir haben alle mal einen miesen Tag. Aber ich meine es Ernst, nimm die ein paar Tage frei und unternimm was mit deinen Kindern. Dann geht es dir sicher bald wieder besser.“ Er stand auf und ging zur Tür.

„Den Kran kann Toby übernehmen, das ist gar kein Problem. Also Frank,  überleg es dir und grüß Val!“

 

 

Ein seltsamer Patient

 

Als Valana von der Schule nach Hause kam, war sie überrascht dort ihren Vater vorzufinden.

„Was hältst du davon, wenn wir zum Aqua-Zoo fahren, Val? Ich habe ein paar Tage frei und möchte gerne was mit meinen Kindern unternehmen.“

„Super, Papa. Das ist eine tolle Idee. Ich schaue gleich mal nach ob Jonas und Tabor schon das sind, die werden staunen.“

Es wurden ein paar unvergessliche Tage für die Familie Lasard. Sie fuhren zum Klettern in die Valde-Schlucht und zum Schwimmen zur Insel Welk. Abends gingen sie gemeinsam Essen und sie hatten jede Menge Spaß.

Selbst Jonas blühte sichtlich auf und wurde zugänglicher. Bald waren alle Sorgen der letzten Zeit vergessen.

Schließlich kehrte der Alltag wieder ein. Valana und ihre Brüder mussten zur Schule und ihr Vater wieder an die Arbeit.

 

Neben ihrem täglichen Unterricht hatten viele Schüler noch eine Nebentätigkeit. Manche arbeiteten in den Gärtnereien und Baumschulen, auf den Obst- oder Gemüseplantagen, andere halfen in Kliniken oder Forschungseinrichtungen aus. Für die Schüler war es die ideale Möglichkeit die verschiedensten Berufsrichtungen kennen zu lernen, um sich so später für ihren Beruf entscheiden zu können.

Valana arbeitete zurzeit in einer Trauma-Klinik in Zone fünf. Zweimal in der Woche und ab und zu am Wochenende stieg sie in den Röhrenzug und fuhr in die ziemlich weit entfernte fünfte Zone. Die Fahrt dauerte fast eine halbe Stunde, doch gab es immer jede Menge interessanter Dinge zu sehen. Meist waren irgendwelche Taucher draußen und reparierten die Röhren oder eines der vielen Boote. Auch konnte man hier oft größere Meeresbewohner beobachten.

 

Der Job in der Klinik machte Valana viel Spaß, obwohl sie wusste, dass sie niemals Krankenschwester oder Ärztin werden würde. Dennoch war es äußerst lehrreich. Auf ihrer Station in der Klinik wurden überwiegend verunglückte Taucher behandelt. Unter den Patienten, die sie betreuen musste, waren sehr viele junge Leute, die unter Gedächtnisverlust oder Gleichgewichtsstörungen litten. Am Anfang war es Valana sehr schwer gefallen, richtig mit ihnen umzugehen, doch inzwischen hatte sie einiges dazu gelernt und sie kam ganz gut zurecht. Heute wurde ihr ein Neuankömmling zugewiesen, um den sie sich unter der Aufsicht einer erfahrenen Schwester kümmern sollte. Laut Patientenkarte war er zweiundzwanzig und hatte sein Erinnerungsvermögen vollständig verloren. Außerdem litt er unter schlimmen Erfrierungen an Armen und Beinen. Er musste ziemlich lange draußen gewesen sein, bevor ihn seine Kollegen fanden. Die Ärzte hatten seine Finger und Zehen retten können, doch die Schmerzen, die er jetzt durch die wiedereintretende Durchblutung hatte, mussten enorm sein.

Zu Valanas Aufgaben gehörte es, durch ständige Wärmebehandlung und Massage seinen Blutkreislauf in Schwung zu halten, damit das geschädigte Gewebe gleichmäßig durchblutet wurde. Das Massieren war allerdings sehr anstrengend und Valana war jedes mal schweißgebadet, wenn sie abgelöst wurde. Doch Darian, ihrem Patienten tat es sichtlich wohl.                                Oft beobachtete sie ihn während der Massage. Seine blonden halb langen Haare klebten verfilzt und feucht an seinem Kopf, denn er hatte starkes Fieber und seine Augen bewegten sich hinter den Lidern, so als würde er träumen.

Die anderen Schwestern bemerkten schnell, das der Patient sofort ruhiger wurde, wenn Valana ihn massierte und so wurde sie immer öfter zu ihm geschickt.

Manchmal überlegte sie sich, wie er wohl gelebt hatte, ob er noch etwas von seiner Familie wusste oder vielleicht von seiner Freundin. Er hatte bestimmt eine gehabt, denn er sah ziemlich gut aus, hatte ein hübsches Gesicht und eine gute Figur. Eigentlich traurig, dass es immer wieder zu diesen Unfällen kam und die meist jungen Menschen so darunter leiden mussten. Aber Darian hatte noch Glück gehabt, viele andere waren gestorben, ehe man sie aus dem eiskalten Wasser retten konnte. So wie ihre Mutter!

Nicht das ihre Mutter, als Taucherin gearbeitet hätte. Nein, sie war Ingenieurin und wollte an jenem Tag nur eine Baustelle inspizieren. Nie war wirklich herausgekommen, was damals eigentlich passiert war. Aus irgendeinem Grund war damals die neue Kuppel geborsten und sieben der anwesenden Fachleute waren umgekommen. Darunter auch ihre Mutter.

Plötzlich wurde Valana bewusst, das sie beobachtet wurde. Sie blickte auf und schaute direkt in die blauen Augen ihres Patienten.

„Oh, hallo!“ Erschrocken sprang sie auf. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass  sie aufgewacht sind. Wie geht es ihnen?“

Er schaute sie verständnislos an. Valana drückte den Klingelknopf. „Es kommt sofort ein Arzt, bleiben sie ganz ruhig.“

Aber er war ganz ruhig, bewegte keinen Muskel, nur seine Augen ließen sie nicht los. Und was für Augen er hatte. Mit ihrem tiefen Blau zogen sie Valana völlig in ihren Bann. Sie wusste plötzlich nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. „Darian“ stotterte sie, „ich weiß nicht, ob sie mich verstehen! Ich bin Valana, ihre Krankenschwester, ähm, eigentlich ja nur Praktikantin. Ich habe sie massiert.“ Hoffentlich kam bald ein Arzt oder eine Schwester, das war ja unheimlich. „Können sie mich verstehen?“

Endlich hörte sie hinter sich die Tür aufgehen. „Oh, er ist wach! Wurde aber auch höchste Zeit.“ Schwester Tiara lächelte Val an. „Das hast du gut gemacht, Mädchen. Geh und sag Doktor Valden Bescheid. Er wird sich freuen.“

Erleichtert verließ Valana das Zimmer und machte sich auf die Suche nach dem Doktor. Noch immer war ihr ganz seltsam zu Mute. Was er wohl gedacht hat, fragte sie sich. Eigentlich war sie sogar ärgerlich auf sich selber. Sie hatte rumgestottert wie ein kleines Mädchen, dabei hatte sie sich so gewünscht, dass er aufwachen würde, wenn sie bei ihm war. Aber diese Augen! Die hatten sie total durcheinander gebracht.

 

Schnell sprach sich auf der Station herum, dass der Patient aus Zimmer Grün 3 aufgewacht war und alle wollten einen Blick auf ihn werfen. Schließlich wurde es Doktor Valden zu bunt und er schickte alle wieder an ihre Arbeit.

„Es ist erstaunlich, dass er es noch geschafft hat, Valana. Wenn sie so lange im Koma liegen, wird es immer unwahrscheinlicher, dass sie es noch schaffen. Aber wir wollen ihn erst mal in Ruhe lassen und später sehen wie stark sein Gehirn geschädigt ist. Hoffen wir, dass er Glück hatte.“

Schwester Tiara schaute ihre Praktikantin besorgt an. „Du siehst selbst ziemlich blass aus, Valana. Was hältst du davon für heute Schluss zu machen? Fahr nach Hause und ruh dich aus. Morgen geht es ihm dann sicher schon viel besser und du kannst dich weiter um ihn kümmern.“

 

Am nächsten Tag dachte Valana ständig an Darian. ungeduldig wartete sie auf den Moment, in dem sie ihn endlich wiedersehen durfte. Als sie dann vor seiner Zimmertür stand, bekam sie auf einmal weiche Knie. Würde er sie überhaupt wiedererkennen?

Zögernd stand sie vor der Tür, doch dann fasste sie sich ein Herz und griff entschlossen nach der Klinke.

Darian lag im Bett und schien zu schlafen. Das Kopfteil war etwas aufgerichtet und sie konnte ihn genau betrachten. Leise ging sie näher zum Bett.

Er sah schon viel besser aus als am Vortag, dass Fieber schien gesunken zu sein und er kam ihr viel entspannter vor. Eigentlich sah er sogar richtig toll aus. Val schaute sich im Zimmer um, ob es für sie etwas zu tun gäbe, dann schob sie sich leise wieder zur Tür. Da bewegte er sich und öffnete die Augen. Er sah sie direkt an und wieder ging ihr der Blick seiner tiefblauen Augen unter die Haut.

„Entschuldigung, ich wollte sie nicht wecken!“ Stotterte sie errötend und wollte aus dem Zimmer schlüpfen.

„Nein, warten sie. Sie haben mich nicht geweckt, ich habe nur ein wenig gedöst. Ich habe auf sie gewartet. Ihre Kolleginnen sagten, dass sie heute noch zum Dienst kommen.“

Seine Stimme hörte sich noch etwas rau an, wahrscheinlich waren die Stimmbänder durch das lange Liegen der Nahrungssonde angegriffen. Das würde sich bald geben.

„Ich möchte mich gerne bei ihnen für die gute Pflege bedanken. Die anderen Schwestern haben mir erzählt, wie viel sie für mich getan haben.“

Valana wehrte verlegen ab. „Das brauchen sie nicht. Ich habe nur meine Arbeit getan aber ich freue mich sehr, dass es ihnen schon wieder so gut geht.“

„Ja, was meinen sie, wie ich mich erst freue.“ Darian grinste. „Für mich sind sie so etwas wie mein Schutzengel. Ich glaube ich habe es immer gefühlt, wenn sie bei mir waren. Auch ihre Kolleginnen haben bestätigt, dass ich mich immer am besten betragen habe, wenn sie da waren.“

Wieder wurde Valana rot. „Na ja,“ gab sie zu „kann schon sein. Doch jetzt erzählen sie mir erst mal, wie es ihnen wirklich geht.“

Der junge Mann wurde plötzlich ernst. „Was soll ich sagen – ich lebe! Ich bin der Eishölle da draußen entronnen und habe nichts verloren außer meiner Erinnerung.“ Sie sah die Verzweiflung in seinen Augen.

„Können sie sich das Vorstellen? Nichts mehr zu wissen? Ich weiß nicht wie ich heiße, nicht wer ich bin, ob ich eine Familie habe und wer meine Freunde sind.“

Er verstummte niedergeschlagen. Nach einer Weile schaute er sie wieder an.

„Nein, natürlich können sie sich das nicht vorstellen. Wie sollten sie auch. Es tut mir Leid, dass ich sie so mit meinen Problemen überfalle. Ich habe nur leider nichts anderes über das ich nachdenken könnte.“

Valana nahm seine Hand und drückte sie voller Mitgefühl. „Entschuldigen sie sich nicht. Es ist doch ganz klar, dass sie darüber sprechen müssen. Ich weiß nur nicht, ob ich die richtige Person für dieses Thema bin. Leider habe ich keinerlei Erfahrung mit so etwas und ich glaube, dass ihnen eine der anderen Schwestern da viel besser helfen können.“

Sie wollte ihn loslassen, um jemanden zu holen, doch er hielt sie zurück.

„Nein, gehen sie nicht! Ich fühle mich bei ihnen durchaus verstanden und gut aufgehoben. Ich brauche jemanden mit dem ich richtig reden kann, jemanden, der mich versteht und Mitgefühl hat. Bitte!“ Er zog sie näher zu sich „Bleiben sie.“

Ein Klopfen an der Tür enthob sie einer Antwort. Doktor Valden steckte den Kopf herein. „Ah, Valana. Sie kümmern sich ja schon um meinen Lieblingspatienten.“ Er nickte den beiden zu. „Hier habe ich übrigens ihre Untersuchungsergebnisse.“ Er blätterte in ein paar Papieren. „Mensch Darian, was hatten sie für ein Glück. Ich persönlich habe noch nie einen Patienten gehabt, der nach so starker Unterkühlung und so langem Koma derart wenig Schädigungen hatte. Und ich bin immerhin seit fast zehn Jahren in diesem Spezialbereich tätig.“

Der Doktor zog sich einen Stuhl heran. „Aber jetzt zu den weniger erfreulichen Tatsachen. Ihr Gedächtnis! Tja, das ist leider für immer weg.“

Mitfühlend schaute er seinen Patienten an. „Bedauerlicherweise kann ich ihnen da nichts anderes sagen. Wir haben inzwischen gelernt, dass es keinen Zweck hat den Patienten falsche Hoffnungen zu machen. Sie müssen sich damit abfinden und je eher sie das begreifen, desto schneller sie sich in der neuen Situation zurecht.“

Wieder blätterte der Arzt in seinen Unterlagen. „Was kann ich ihnen noch sagen? Es wird natürlich einige Zeit dauern, bis sie körperlich wieder einigermaßen auf der Höhe sind. Sehr wahrscheinlich werden sie in Zukunft unter Gleichgewichtsstörungen leiden. Das heißt, ihnen wird öfter schwindelig und sie haben das Gefühl zu fallen. Doch daran werden sie sich gewöhnen und lernen damit zu leben. Sicherlich werden sie noch einige Zeit unter Durchblutungsstörungen in ihren Händen und Füßen leiden, aber das kennen sie ja inzwischen. Dem können wir mit Schmerzmitteln und Massagen begegnen. Valana wird ihnen zeigen, wie sie sich mit Selbstmassage helfen können.“

Doktor Valden packte seine Unterlagen zusammen. „Was weiterhin auf sie zukommt, kann ich nur ahnen. Vielleicht werden sie öfter unter starken Kopfschmerzen leiden. Aber das ist nur eine Vermutung, das muss nicht so sein.“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „So, jetzt wird es Zeit für mich. Ich würde sagen, wir sprechen morgen weiter. Verarbeiten sie erst mal das Gehörte und beraten sie sich mit Valana.“ Lächelnd schaute er von einem zum anderen.

„Ich habe den Eindruck, dass sie bei ihr in guten Händen sind. Also, dann bis morgen!“

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis Valana und Darian sich wieder aufeinander besannen. Zu sehr waren sie mit den Ausführungen des Doktors beschäftigt. Schließlich meinte Darian. „So sieht es also aus. Das muss ich wirklich erst mal verarbeiten. Es war doch alles etwas viel auf einmal.“ Er schloss erschöpft die Augen.

Valana war wie in Trance. Zu viele Neuigkeiten waren da über sie eingestürzt. „Ich glaube, auch ich muss erst mal eine Nacht darüber schlafen. Soll ich sie jetzt vielleicht noch etwas massieren?“

„Das ist eine gute Idee. Das wird mir bestimmt gut tun. Danke!“

Sie machte sich sogleich ans Werk und kurz darauf schlief Darian unter der wohltuenden Massage ein. Valana senkte sein Kopfteil ab und deckte ihn zu.